S’Noagerl Bier

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Im Sommer waren wir mit unseren Kindern unterwegs Richtung Steiermark und da passierte es: Zenzi trank zum 1. Mal Alkohol. Ich hatte mir in Gloggnitz beim Ramswirt einen Apfelmost bestellt und wir warteten gerade alle auf unsere Schnitzerln. Dann kam mir in den Sinn, dass ich meiner Mutter noch schnell ein paar Fotos von unserer Familienrunde schicken könnte. Als ich meinen Blick wieder vom Handy löste, blickte mir Zenzi in die Augen und sagte: „Mama dein Saft schmeckt komisch!“ Sie hatte also meinen Most für Apfelsaft gehalten und einen Schluck gemacht. Zuerst ärgerte ich mich über meine Unachtsamkeit, als mir plötzlich folgendes klar wurde: Sie ist ja schon 5 Jahre alt. Für ein Waldviertler Kind ist es mehr als nur an der Zeit für die erste Alkohol-Erfahrung!

Die meisten Kinder im Waldviertel fangen schon früher an. Da dürfen sie meistens s’Noagel Bier (= das allerletzte Schluckerl Bier) austrinken. In einer Was gibt es Neues Episode sagte der witzige waldviertelkundige Fernsehmoderator Roman Palfrader so etwas wie:

Des stimmt ned! Bei uns im Woidlviertl kriagn de Kinder immer nur des frisch zapfte Bier!“

Roman Palfrader, zitiert aus meinem Gedächtnis, weil ich offensichtlich die Folge von Was gibt es Neues? nicht mehr gefunden habe

Da hat Herr Palfrader gar nicht so unrecht, wie folgende Anektode beweisen wird: Mitte der 80iger Jahre. Ein kleiner Junge läuft mit verkehrt angezogenen Turnschuhen durch den Garten. Den ganzen Sommer hat sein Papa damit verbracht, den Dereis für den Gartenzaun zu mauern. Er durfte dann s’Noagerl Bier austrinken, wenn der Papa mit sein Bia fiade woa .
(Dt.: …mit seinem Bier fertig war)

Eines Tages schaute er aber nicht genau und erwischte eine volle Bierflasche. Den Helmi sah er anschließend trotzdem, obwohl er seinen Rat nicht befolgt hatte. Und das Bier kam aus allen seinen kleinen Körperöffnungen wieder heraus: Der Nase, den Ohren, aus dem Mund. Laut Aussagen seiner Mutter ist aber weiter nichts passiert: „Guat g’schlofn hot a!“, so erzählt sie es immer.
(Dt.: Gut geschlafen hat er!)

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Wir sind zurück im Jahr 2022. Heute darf Herbert sein eigenes Bier haben und ganz austrinken. Er schläft anschließend nach wie vor sehr prächtig.

Im Waldviertel gibt es verschiedene regionale Brauerzeugnisse. Aber welche man davon trinken soll, da sind sich die Waldviertler nicht so einig. In diesem Blogbeitrag erwähne ich nur die Sorten, die ich schon einmal getrunken habe und erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Falls Sie liebeR LeserIn eine Bierbrauerei besitzen und sich vernachlässigt fühlen, kann ich Sie gerne im nächsten Beitrag für viel Geld oder zwei Kisten Bier erwähnen.
Eine lange Tradition haben auf jeden Fall die Schremser, die Zwettler und die Weitraer-Brauerei. Dann gibt es aber noch ein paar kleinere Hausbrauereien, wie z. B. in Vitis, wo Xandl Bräu hergestellt wird.

Weit im Sauf-Diskurs verbreitet sind die Biersorten Schremser und Zwettler. Denn über diese beiden wird ständig diskutiert. Herbert hat mich schon in den ersten Wochen unserer Beziehung darauf hingewiesen, dass Schremser richtiges Bier ist und Zwettler kein richtiges Bier ist. Als naive Wienerin habe ich mich im Bezirk Gmünd immer daran gehalten, dies brav nachzusagen, damit es nicht peinlich wird. Allerdings ist es doch nicht so einfach: Denn 50% der Waldviertler Bevölkerung behauptet das Gegenteil: Also Schremser Bier ist kein Bier, Zwettler Bier ist richtiges Bier. Die Beziehung der Waldviertler BiertrinkerInnen zu ihrem Gesöff erinnert damit stark an die österreichische Politik. Wenn man ein Zwettler Bier neben ein Schremser Bier stellt, so ist das ähnlich, wie alle Versuche eine rot-schwarze Koalition im letzten Jahrzehnt, die ja nicht umsonst gescheitert ist. Denn sie vertragen sich einfach nicht und sie kommen auch nach langen Diskussionen zu keinem Schluss, was jetzt stimmt und was nicht.
So verhält es sich auch mit den Waldviertler Bier-Konsumenten, mit einer Ausnahme: Im Waldviertel kann es schon vorkommen, dass auch Zwettler- und Schremser-Trinker sich wenigstens bei Nacht verstehen, sofern sie ausreichend viel Bier getrunken haben. Bier verbindet Menschen – außer vielleicht Politiker. Bei denen hilft auch der Alkohol nichts mehr. Aber könnte Bier die politischen Probleme in Österreich und auf der Welt lösen, wäre das ja genial. Herbert ist der Meinung, dass das sogar geht und sich politische Probleme mit Alkohol bewältigen lassen: „Wos glaubst wia si da Häupl so long g’hoitn hot in Wean?! Der hot’s hoid min Wei gmocht!“
(Dt.: Auf welche Weise – denkst du – hat der Häupl sich so lange in Wien gehalten? Er hat es halt mit Wein gemacht.“

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Bier und die Begeisterung über die damals populär werdende Bierpartei (und ihre Namenswahl) hätte mich und einen alten Freund auch fast so rund um das Jahr 2012 dazu bewogen, unsere eigene Partei zu gründen: Die BSP-Partei (Bier-Schnitzel-und-Polygamie-Partei). Unsere Forderungen waren: Bier, Schnitzel und Polygamie für alle außer Herbert. Ein weiteres Ziel von uns, war die Einführung der Ski WM auf dem Wiener Gürtel. Ich denke, dass wir derzeit sehr gute Chancen hätten, bei der nächsten Landtagswahl zu gewinnen. Wir hätten alle österreichischen Wähler auf unserer Seite, außer allen VegetarierInnen und VeganerInnen. Bei dieser Bevölkerungsgruppe lässt sich das Schnitzel nicht mit ihren Werten vereinbaren.
Am Ende des Abends aber, ging uns das Bier aus und wir wurden müde. Also sahen wir von der Umsetzung unserer grenzgenialen Idee ab.
Wenn ich die damaligen Begebnisse noch einmal reflektiere, komme zum Schluss, das ich vielleicht lieber der echten Bierpartei beitreten sollte. Als Ururgoßenkelin (oder war es doch Ururur?) des Bierbrauers Josef Lehn, ehemals Besitzer der Piestinger Brauerei, hätte ich ja absolut die Qualifikation dafür. Und auch mein Künstlernachname Bierdeckl würde mir bestimmt Sympathiewerte bei meiner Bewerbung einräumen. Aber egal…

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Beenden wir das Gerede über Politik und kommen zurück in die Bierlandschaft des Waldviertels:
Die interessanteste Diskussion, was den unterschiedlichen Geschmack von Schremser und Zwettler Bier ausmacht, hörte ich eines Abends in Schrems im 1er-Beisl, wo Herbert mit einem Zwettler Trinker auf freundliche Art und Weise philosophierte. Herbert bewies sich hier als wahrer Menschenfreund, als Ghandi der Schremser-Trinker, als er sich auf dieses Gespräch einließ, wo es doch für einen einen Menschen von solcherlei Biergeschmack fast wie Ketzerei anmuten muss, mitten in der Hauptstadt seines Lieblingsbieres für einen Zwettler-Trinker ein offenes Ohr zu haben. Jedenfalls meinte der Zwettler-Trinker, dass der charakteristische Geschmack beider Biere durch das unterschiedliche Wasser in Schrems und Zwettl zustande käme. Da in Schrems der Fluss direkt neben dem Friedhof fließt, wäre es wohl der „Friedhofs-Geschmack“, der Einfluss auf das Aroma von Schremser Bier nehmen würde. Herbert Ghandi-Bierdeckl blieb ob der geschickten Argumentation seines Gegenübers gelassen und warf ein, dass er den Friedhofs-Geschmack einfach brauche und dieses Light-Bier (Zwettler) eben nichts für einen gestandenen Waldviertler Mann sei.

Und die Moral von der Geschicht: Die gibt’s heut wieder nicht. Zuageh’n tuat’s do im Woidviertl, des geht jo auf koa Kuahaut. So ung’sund die Sauferei.
(Dt.: Im Waldviertel geht es aber wild zu. Das geht ja gar nicht! Es ist vollkommen ungesund so viel zu trinken.“
Naja vielleicht gibt es am Ende doch eine Botschaft zu verkünden: „Biergeschmäcker sind verschieden!“ (oh wie überraschend)
Und jetzt fällt mir sogar eine zweite ein, was für ein Stilbruch…

Also die zweite, dritte und letzte Moral von der Geschicht:
Bier und Wein, lass es sein!